Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die Erschütterung des Beweiswerts

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die Erschütterung des Beweiswerts

23. November 2023-

© Ralf Liebhold / shutterstock.com


Die Erhaltung der Gesundheit und das Wohl des Arbeitnehmers steht nicht nur für den Gesetzgeber an hoher Stelle, sondern sollte auch für den Arbeitgeber bedeutsam sein, um den Erhalt der Arbeitsleistung des Mitarbeiters zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang spielt die korrekte Ausstellung und Überprüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigungen) eine zentrale Rolle. Arbeitgeber haben nicht nur das Interesse, den Betrieb reibungslos aufrechtzuerhalten, sondern auch die Pflicht, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu schützen. 

In diesem Beitrag werden wir die Voraussetzungen für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arbeitnehmers sowie die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung zu diesem Thema beleuchten.

I. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Grundlagen

Mit der vom behandelnden Arzt ausgestellten Bescheinigung weist der Arbeitnehmer nach, dass er wegen Krankheit nicht in der Lage ist, seine vertraglich vereinbarte Leistung gegenüber dem Arbeitgeber zu erbringen. In der AU-Bescheinigung ist anzugeben, ob es sich um eine Erst- und Folgebescheinigung handelt, der Beginn der Arbeitsunfähigkeit und die voraussichtliche Dauer. Hält die Erkrankung länger als angegeben an, muss der Arbeitnehmer sich die Arbeitsunfähigkeit erneut ärztlich bescheinigen lassen (Folgebescheinigung). Ein Aushändigen in Papierform ist seit Beginn des Jahres 2023 mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) nicht mehr notwendig. Vielmehr können Arbeitgeber diese dann bei der Krankenkasse abrufen.

Grundlage für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle ist § 3 EntgFG. Bei Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit infolge einer Erkrankung hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung grundsätzlich für einen Zeitraum von höchstens sechs Wochen. Dies gilt aber nur dann, wenn den Arbeitnehmer kein Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft. In der Rechtsprechung gibt es unterschiedliche Fallkonstellationen, in denen dies gilt, so etwa insbesondere durch grob fahrlässiges Verschulden bei einem Verkehrsunfall, etwa durch 

  • Alkoholkonsum verursachte Fahruntüchtigkeit, 
  • übermäßiger Drogenkonsum
  • erhebliche Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit
  • Missachten einer roten Ampel
  • Überholmanöver an unübersichtlicher Stelle
  • fehlendes Anlegen des Sicherheitsgurtes, wenn die Verletzungen daraus resultieren, dass der Betroffene den Sicherheitsgurt nicht genutzt hat

Mitunter können auch besonders gefährliche sportliche Betätigungen zu einem Verschulden führen, sodass dann kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht. Dies muss aber stets im Einzelfall geprüft werden.

II. Voraussetzungen für die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

1. Vorliegen einer Krankheit: 

Die AU-Bescheinigung kann vom behandelnden Arzt nur ausgestellt werden, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich erkrankt ist und aus gesundheitlichen Gründen seine arbeitsvertraglich Tätigkeit nicht ausführen kann. Damit ist also stets eine ärztliche Diagnose erforderlich, um die Arbeitsunfähigkeit zu rechtfertigen.

2. Dauer der Arbeitsunfähigkeit: 

Die AU-Bescheinigung muss die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit angeben. Hiermit soll dem Arbeitgeber eine gewisse Planung bzgl. der Kosten und auch des Ausfalls des Arbeitnehmers ermöglicht werden.

3. Verantwortungsbewusste Inanspruchnahme: 

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die AU-Bescheinigung nur dann zu verwenden, wenn er tatsächlich arbeitsunfähig ist. Missbräuchliche Nutzung kann arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen und im schlimmsten Fall zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.

III. Erschütterung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

In bestimmten Einzelfällen kann aber der Beweiswert der AU-Bescheinigung durch den Arbeitgeber oder die Krankenkasse erschüttert werden. Hierbei muss aber stets der hohe Beweiswert der AU-Bescheinigung berücksichtigt werden.

1. Zweifel an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung: 

Sobald der Arbeitgeber begründete Zweifel an der Richtigkeit der AU-Bescheinigung hat, kann er eine Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) oder einen betriebsärztlichen Dienst veranlassen, um diesen Zweifeln nachzugehen.

Der MDK ist eine unabhängige Institution, die im Auftrag der Krankenkassen medizinische Gutachten erstellt und den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers überprüft, um festzustellen, ob die AU-Bescheinigung gerechtfertigt ist.

Soweit der Arbeitgeber über einen betriebsärztlichen Dienst verfügt, kann auch dieser die AU-Bescheinigung auf Plausibilität hin überprüfen.

Zudem kann der Arbeitgeber auch etwaige Zweifel im persönlichen und vertraulichen Gespräch mit dem Arbeitnehmer klären und nach Lösungen suchen.

Soweit Unsicherheiten bestehen, ist es für Arbeitgeber zu empfehlen, sich rechtlichen Rat einzuholen. 

2. Fehlverhalten des Arbeitnehmers:

Wenn der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung missbräuchlich verwendet und der Arbeitgeber dies nachweisen kann, kann er arbeitsrechtliche Sanktionen ergreifen und im Extremfall auch eine fristlose Kündigung aussprechen.

3. Widerspruch durch die Krankenkasse

Ebenso kann die Krankenkasse die AU-Bescheinigung überprüfen und bei Vorliegen begründeter Zweifel auch ablehnen. 

4. Dokumentation:

Der Arbeitgeber sollte Anhaltspunkte in der Personalakte dokumentieren und die notwendigen Informationen sorgfältig speichern, um eine spätere Nachverfolgung und Überprüfung zu ermöglichen, falls Unstimmigkeiten oder Nachfragen auftreten. Hierbei sind stets die Vorgaben zum Datenschutz zu beachten, da es sich mitunter um besonders geschützte Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers handeln kann, diese Informationen sollten separat und mit besonderer Sorgfalt und Sicherheit gespeichert werden.

IV. Aktuelle Rechtsprechung

Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung unterliegt ständigen Veränderungen und Anpassungen an die aktuelle Rechtslage, so dass es insbesondere für Arbeitgeber unerlässlich ist, sich hierzu regelmäßig zu informieren. 

In begründeten Fällen kann der Arbeitgeber die AU-Bescheinigung damit überprüfen und sicherstellen, dass diese einmal korrekt ausgestellt ist und zum anderen keine missbräuchliche Verwendung durch Arbeitnehmer vorliegt. 

Die Rechtsprechung hat sich mittlerweile mehrfach mit der Erschütterung des Beweiswertes einer AU-Bescheinigung beschäftigt, dies in den Fällen, wenn die Krankschreibung unmittelbar nach Erhalt der arbeitgeberseitigen Kündigung erfolgte und der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist erfasst sei (vgl. LAG Niedersachsen, Urteil v. 08.03.2023 – 8 Sa 859/22- noch nicht rechtskräftig). Die Entscheidung liegt zwar derzeit beim Bundesarbeitsgericht (BAG), gibt jedoch bereits Aufschluss darüber, dass in einem solchen Fall und unter Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte durchaus eine AU-Bescheinigung und damit die Entgeltfortzahlung hinterfragt werden kann. Hierbei sind stets die Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu beachten und in die Abwägung der Erfolgsaussichten mit einzubeziehen. Die finale Entscheidung des BAG (zum Az. 5 AZR 137/23) ist abzuwarten, um diese Fallkonstellationen rechtssicher bewerten zu können.

Das BAG hat sich bereits mit dem Fall beschäftigt, dass der Arbeitnehmer nach Ausspruch einer Eigenkündigung am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde und diese passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasste (BAG Urteil v. 08.09.2021 – 5 AZR 149/21). Das BAG hat festgestellt, dass der ordnungsgemäß ausgestellten AU-Bescheinigung ein hoher Beweiswert zukommt, so dass allein die Vorlage einer solchen ausreichen kann. Soweit jedoch der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen kann, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt, kann die Vermutungswirkung der AU-Bescheinigung durchaus erschüttert werden. Fällt dann die Vermutung weg, ist es Sache des Arbeitnehmers, seinerseits Tatsachen darzulegen, die die Erkrankung entsprechend nachweisen, so etwa zur Angabe der konkreten Erkrankungen, die gesundheitlichen Einschränkungen und deren Intensität und was ärztlich konkret verordnet wurde.

Soweit der Arbeitgeber die konkreten Hintergründe der AU-Bescheinigung und auch der Erkrankung der Arbeitnehmers aufklären will, ist ebenso Vorsicht geboten. In einer Entscheidung des LAG Düsseldorf hatte diese eine Überwachung durch eine Detektiv als unangemessen angesehen und den Arbeitgeber zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilt. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der Arbeitgeber vor einer solch drastischen Maßnahme weniger einschneidende Maßnahmen hätte ergreifen müssen (LAG Düsseldorf Urteil v. 26.4.2023 – 12 Sa 18/23 – nicht rechtskräftig). Auch diese Entscheidung wird aktuell durch das BAG überprüft.

V. Fazit:

Der AU-Bescheinigung des Arbeitnehmers kommt eine hohe Bedeutung im deutschen Arbeitsrecht zu, derer sich sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer bewusst sein müssen. Die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ist genauso entscheidend wie die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Da gerade in diesen Fallkonstellationen eine stetige Weiterentwicklung erfolgt, ist es ratsam, diese zu verfolgen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen, um sicherzustellen, dass alle rechtlichen Anforderungen erfüllt sind, um die Folgen von Entscheidungen auch angemessen einschätzen zu können.

Der vorstehende Artikel wurde zur sprachlichen Vereinfachung überwiegend in der männlichen Form geschrieben und beabsichtigt keine Diskriminierung der Geschlechter.

Ihre Ansprechpartnerin

Rechtsanwältin Elisa Rudolph

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